Sensationelle Entdeckung zu Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig"! Wer glaubte, den Text zu kennen, sollte das nebenstehende Archivbild kennen lernen und den exakt recherchierten Beitrag dazu lesen:

Schwierige Tiere

Thomas Mann und der apokalytische Hahn

Zum Inhalt:
Sie entsinnen sich des Anfangs der Novelle, der Szene vor dem Münchener Nordfriedhof, mit dem Tod als Trachtler auf der Freitreppe und, zu deren Seiten, den “beiden apokalyptischen Tieren”. 
Wer heute vor dem Münchener Nordfriedhof steht, sieht keine Tiere mehr, schon gar keine apokalyptischen. Die Skulpturen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg  entfernt. Mit Unterstützung der Münchener Friedhofsverwaltung bin ich in den Besitz eines drucktauglichen Archivfotos gelangt (Ausschnitt vgl.o.), das eines der beiden “Tiere” zeigt und nebenbei erkennbar macht, daß von “apokalyptisch” hier, im engeren Verstand, nicht gesprochen werden kann. Die kleine Entdeckung hat mich zu einigen, wie ich fand, aufregenden Nachforschungen (a) im Umkreis besagter Novellenszene, (b) betreffend die Konzeption und Bau- (bzw. Abbau-) Geschichte des betreffenden Friedhofskomplexes und (c) über biblisch-apokalytische Tiermotive bei Thomas Mann veranlaßt, deren Ergebnisse Sie in dem Artikel zusammenfaßt finden. Von dem Foto biete ich einen äußerst hochwertigen Abzug an. 
 
 

Der Anfang des Artikels:

Wie kommen der Löwe und der Tiger zu ihren Namen? Um die Antwort auf diese Frage ist in Köln, wo sie nach Mitternacht auf Partys lauert, kein Gebürtiger verlegen: Der Löwe löwt durch die Wüste. Und der Tiger? Der Tiger löwt auch durch die Wüste. Nur hurtiger. Dem überraschten Leser ist zu raten, sich die Antwort eine Weile zu merken, zumal es hier in der Hauptsache nicht um Löwen und Tiger, sondern um ganz andersgeartete Tiere gehen wird. 

Wir befinden uns im Jahr 1911 an der Trambahn-Haltestelle vor dem neuen nördlichen Friedhof in München, Blick auf “das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle”, und erleben nachlesend noch einmal den Beginn von Thomas Manns Novelle “Der Tod in Venedig”. Der seltsame Reisende, der, sobald aufgetreten, zugleich das Fernweh, den Tod, die Götter Hermes und Dionysos sowie die wandernde Cholera bedeuten wird, hat die Szene noch nicht betreten, stört uns noch nicht in der Betrachtung “der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen”. Doch halt, was für Tiere? Wir reiben uns die Augen, schauen jetzt, ein knappes Jahrhundert später, noch einmal hin und sehen - nichts mehr. Leere Postamente zu beiden Seiten der Treppe. 

Wer sind sie, wer waren sie, die “apokalytischen Tiere” des Münchener Nordfriedhofs? Was ist aus ihnen geworden? Solchen und ähnlichen Fragen nachgehend, finde ich freundliche Unterstützung bei der Friedhofsverwaltung am Münchener Damenstift. Sogar den seinerzeit zuständigen Oberamtsrat a.D. Scheibmayr schaltet man in die Sache ein. Und  das Stadtarchiv trägt, in Person seines stellvertretenden Amtsleiters Herrn Dr. Stahleder, das Seine zum Kenntnisstand bei, der da (ohne die Hilfe betreffender Akten, die vernichtet sind) lautet: 

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfügte ein, mittlerweiler verstorbener, Stadtbaurat die Demontage der Figuren und ihre Verbringung in ein Depot, vermutlich das zum benachbarten Wendeplatz der Straßenbahn gehörende. Von dort wurden sie wenig später an einen jungen, aus dem Niederbayerischen angereisten Steinmetz verkauft, der die Skulpturen mitnahm und in einem unbekannten niederbayerischen Garten aufstellte. Weiter ist nichts herauszubekommen. Der Landesinnungsverband des Bayerischen Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks etwa verweigert sich, läßt Nachfragen nach Roß und Reiter ins Leere laufen (“hinter den Zäunen der Steinmetzereien (...) regte sich nichts” - so weit “Der Tod in Venedig”). 
(...)
 
 

Nachbemerkung:
Der Text steht in Nr. 2/2001 der Zeitschrift "neue deutsche literatur" (Aufbau Verlag). Leider gibt es die ndl inzwischen nicht mehr. Meinen Artikel gibt es noch und sicher viele, zu denen sich die Neuigkeiten darin noch nicht rum gesprochen haben.

em-Angebote zur Zweitverwertung erbeten.

 


 

T. Mann: "Der Tod in Venedig" (Anfang)

Lyrikdebüt

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