G20 Protest: Wie war es wirklich?
Das weiß keiner. Ich auch nicht.
Dazu ist das Objekt Wirklichkeit zu tückisch und das Konzept Wissen zu begrenzt.
Aber ich war da. Dreieinhalb Tage. Bis gestern früh.
Wenn ich heute lese und höre, was geschrieben und gesagt wird, wenn ich die angeblich viel sagenden Bilder sehe und die nichts sagenden Kommentare dazu höre, zweifle ich allerdings, ob ich wirklich da war, in derselben Stadt, in dem speziellen Zustand, in den man die Stadt versetzt hatte, bei dem Geschehnis, das doch einen Namen hatte (NoG20), einen Zweck verfolgte, eine Spur hinterlassen wollte, die man anschließend lesen, aus der man schlau werden sollte.
Ich war in Hamburg, um gegen die Politik der G20 Regierungen zu protestieren und mein grundsätzliches Misstrauen ihnen gegenüber zu erklären.
Ich weiß nicht, warum ich darüber nichts mehr lese, obwohl vorgestern 100000 Leute genau das Gleiche getan haben wie ich. Direkt neben mir, in Hamburg, einer Großstadt, die viel zu klein wirkte für die vielen Menschen. Wenn ich verfolge, worüber man 48 Stunden später spricht, habe ich das Gefühl, dass die Politik der nächsten Monate sich gerade das Motto gibt: Was Sie schon immer von diesem Staat erwartet haben und nur zu gutmütig waren, ihm zuzutrauen.
Die Strafrechtsnovelle war doch längst auf dem Weg, die vom Demonstrationsrecht sowieso nichts übrig lassen wird, was außerhalb von Kindergärten noch anwendbar wäre. Aber jetzt: Eigentum schützen mit Kriegswaffen für die Polizei, mit Gefängnisjahrhunderten für jugendliche Tätergemeinschaften. Bloß nichts mehr erlauben, das ist gerade vollkommen am Absterben, dass noch was erlaubt wäre, würde, sein könnte, bleiben dürfte, nee, nix mehr, jetzissSchluss. Und AfD wählen ganz doll, das sollte man jetzt auch, endlich, will man ja schon lange, hat aber den Politikern noch ne Chance gegeben, nee, jetzissSchluss. Überall Schluss. Schluss.
Sollte der Hamburg-Protest nicht ein Anfang werden? Eine andere Welt ist möglich oder so?
Er war ein Anfang. Eine andere Welt ist möglich.
Und zwar ist diese andere Welt möglich aus dem Grund, dass sie zu einem Teil jetzt schon da ist. Genau das war meine Hamburg-Erfahrung, mein Gefühl auf den Straßen und schon im ZuG20 Sonderzug: Hier entsteht eine Welt, in der jeder einzelne Mensch Bedeutung hat, ernst genommen und gebraucht wird. In der allerdings für Altlasten wie IKEA, dicke Porschevergaser oder das Amtsgericht Altona (mit seiner derzeitigen "Rechtsprechung", vgl. ...
die öffentliche Haltbarkeit so langsam abläuft.
Diese neue Welt war sichtbar, ihre Stimmen waren hörbar auch hinter den schwarzen Panzerglasscheiben der Limousinen, noch in den Roten Sicherheitszonen, in die nichts dringen sollte. Der Protest ist angekommen bei den Delegationen und ich bin sogar sicher: Sie reden davon. Sie reden höhnisch davon, machen Witze, zeigen sich Handyfotos, die für sie dumm aussehen, das ist auch sicher. Aber sicher ist noch was: Von denen regt sich keiner auf über kaputte Fensterscheiben von IKEA in Altona, einen (zwecks Barrikadenbau) ausgeräumten REWE-Laden oder über ein paar Porsche-Spritschlucker auf einem Autohausparkplatz, die gebrannt haben. Das interessiert sie keine Sekunde.
Hier kommt meine Frage: Wieso kapieren die größten Ignoranten dieser Welt, von Beruf Unerreichbare für menschliche Stimmen, Argumente, Lebensregungen, wieso kapieren ausgerechnet die Universal-Nichtsmerker dieser Welt als einzige, worum es in Hamburg gegangen ist? Und wieso diskutiert der gesamte Rest, von links außen bis rechts außen, über brennende Müllhaufen auf Verkehrskreuzungen, über leere Flascheneinschläge auf Robocop-Uniformpolstern und über einige auch härtere Gewalttaten??
A propos Gewalt: Eine Woche lang hat der Staat Menschen provoziert, die ihr Grundrecht auf Protest wahrnehmen wollten. Sie durften nicht schlafen, ihre Zelte wurden zerfetzt, sie wurden geschlagen, krankenhausreif gesprüht, beim Sitzen auf Straßenkreuzungen von Wasserwerfern abgeräumt und und. Das Entscheidende kam am Donnerstag, einen Tag vor Gipfelbeginn: "Welcome to Hell", die Auftaktdemo, wurde erst ohne Auflagen genehmigt - und dann, ohne dass bis dahin Gewalthandlungen verübt wurden, von Polizeikohorten mit Wasserwerfern umschlossen und durch Prügelexzesse und Greiftruppterror beendet. Die genehmigte und bis zur Auflösung gewaltlose Demonstration "Welcome to Hell" hat ganz einfach nicht stattgefunden!
Nur das, nicht mehr (obwohl Seiten damit zu füllen wären) auf die Frage: Wer hat angefangen?
Wers nachprüfen möchte, guckt ganz einfach die Live-Berichterstattung des jeder linken Regung unverdächtigen TV-Senders N24 über den Anfang einer Hölle, die nie anfangen durfte, es ihren VIP-Ausgeburten aus Politik und Wirtschaft gemütlich zu machen (was andernorts unter anderem Feuer zur Folge hatte):
https://www.youtube.com/watch?v=mEjcKNXXGg0
Und übrigens, wer nichts macht, wer die G20 Regierungen machen lässt, am besten noch in seinem Namen, weils ja bei uns Demokratie heißt,
der zündet damit die Hütten von Leuten in Kenia, Kambodscha, Brasilien an, der fackelt die Felder von Müttern ab, die mit den Erträgen ihre Kinder ernähren wollten. Nur so viel an der Stelle zum Thema: Wo liegt von dem ganzen Gezündel eigentlich der Brandherd?
G20?
Nee, kannsnich.
10.07.2017